SICHERHEIT, GESUNDHEIT, UMWELT
Barrierefreiheit bei DGNB- und QNG-Zertifizierungen: Gebäude für zukünftige Anforderungen wappnen
Text: Martin Schienbein | Foto (Header): © kiono – stock.adobe.com
Die Bedeutung von baulicher Barrierefreiheit als integraler Bestandteil der Nachhaltigkeit nimmt auch im Rahmen von Zertifizierungs- und Förderprogrammen kontinuierlich zu. Nach dem Drei-Säulen-Modell stehen neben ökologischen und ökonomischen Aspekten auch soziokulturell-funktionale Anforderungen mit gleicher Gewichtung. Die geforderte Funktionalität hängt dabei in besonderem Maße von umfassender Barrierefreiheit ab.
Auszug aus:
Informationsdienst Bauleitung
Ausgabe Oktober 2025
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Die wichtigsten Programme zur Nachhaltigkeitszertifizierung in Deutschland sind das Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) sowie das Qualitätssiegel „Nachhaltiges Gebäude“ (QNG). Im nachfolgenden Beitrag werden die wesentlichen Inhalte zum Thema Barrierefreiheit in den beiden Zertifizierungsprogrammen zusammengefasst.
Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB)
Das Zertifizierungssystem der DGNB vereint Nachhaltigkeitskriterien für unterschiedliche Anwendungsfälle. Dadurch soll sichergestellt werden, dass nicht nur bei Neubauten, sondern auch im Bestand sowie in der Quartiersentwicklung kongruente Anforderungen umgesetzt werden.
Die einzelnen Kriterien sind in Gruppen und übergeordneten Themenfeldern gegliedert und mit Bewertungspunkten versehen. In Abhängigkeit vom Erfüllungsgrad, also der erreichten Gesamtpunktzahl im Verhältnis zur maximal erreichbaren Punktzahl, sind Zertifikate in den drei Stufen Gold, Silber und Bronze zu erreichen.
Barrierefreiheit als Ausschlusskriterium für alle Gebäude
Barrierefreiheit ist als Kriterium SOC2.1 ein Ausschlusskriterium für alle Gebäude. Sofern die Mindestanforderungen nicht umgesetzt sind, ist eine Zertifizierung im Rahmen des DGNB-Systems nicht möglich. Als Bewertungsgrundlage gilt die DIN 18040, unabhängig von der Einführung als Technische Baubestimmung, i. V. m. der in Tabelle 1 des DGNB-Kriterienkatalogs vorgenommenen Einstufung in Qualitätsstufen (QS).
In Abhängigkeit vom angestrebten Gesamterfüllungsgrad sind über die Mindestanforderungen der QS 1 hinausgehende Anforderungen bis hin zu QS 6 umzusetzen. Mit zunehmender Qualitätsstufe werden die Anforderungen auf weitere Gebäudebereiche ausgedehnt. Während als Mindestanforderung der QS 1 bei Wohngebäuden mindestens ein barrierefreies Wohngeschoss gefordert wird, steigt der Anteil ab QS 3 auf 25 % bis hin zu 95 % bei QS 6. Tabelle 1 ist ausschließlich über die Software der DGNB abrufbar.
Als Nachweis der Umsetzung der QS 1 (Mindestanforderung) sowie 2 sind allgemeine Beschreibungen der Barrierefreiheit einschließlich relevanter Planungsunterlagen sowie eine Fotodokumentation der beispielhaften Umsetzung ausreichend.
In Abhängigkeit von der Gebäudenutzung sind detaillierte Gesamtkonzepte i. A. ab QS 3, für Versammlungsstätten, Gesundheitsbauten und Sportstätten jedoch bereits ab QS 1 vorgeschrieben.
Diese orientieren sich am Leitfaden Barrierefreies Bauen und an den länderabhängig bauordnungsrechtlich geforderten Barrierefrei-Konzepten. Im Rahmen von Konformitätsprüfungen können zusätzliche Unterlagen auch nachträglich angefordert werden.
Qualitätssiegel Nachhaltiges Gebäude (QNG)
Das QNG wird im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) vergeben. Es handelt sich dabei um ein staatliches Gütesiegel, das die Einhaltung von Nachhaltigkeits-Standards nachweist. Grundvoraussetzung ist die Umsetzung allgemeiner Anforderungen, die über registrierte Bewertungssysteme nachgewiesen werden.
Das sind neben dem bereits beschriebenen DGNB-Zertifizierungssystem noch das Qualitätssiegel „Nachhaltiger Wohnungsbau“ (NaWoh), das Bewertungssystem „Nachhaltiges Bauen“ (BNB), der Leitfaden „Nachhaltiges Bauen“ (LNB) sowie das Bewertungssystem „Nachhaltiger Kleinwohnhausbau I Nachhaltige Gebäude“ (BNKIBNG).
Über die in den registrierten Bewertungssystemen enthaltenen allgemeinen Anforderungen hinaus bestehen für die Erlangung des QNG besondere Anforderungen. Deren Fokus liegt auf der Erfüllung nachhaltigkeitsrelevanter Merkmale und Eigenschaften in überdurchschnittlicher Qualität (QNGPLUS) und deutlich überdurchschnittlicher Qualität (QNG-PREMIUM).
Diese gehen damit auch über länderspeziflsche, bauordnungsrechtliche Mindestanforderungen hinaus.
Nichtwohngebäude
DIN 18040-1
Grundlage der Anforderungen ist bei Nichtwohngebäuden die DIN 18040-1 in der Originalfassung. Länderspezifisehe Ausnahmen im Rahmen der Einführung als Technische Baubestimmung gelten nicht. Zusätzliche Bewertungsgrundlagen stellen die Technischen Regeln für Arbeitsstätten sowie der Leitfaden Barrierefreies Bauen dar.
ASR A4.1
Neben öffentlich genutzten Bereichen werden auch Arbeitsstätten berücksichtigt. Für diese sind Arbeitsplätze inklusive der zugehörigen Verkehrs- und Nebenflächen barrierefrei zugänglich zu gestalten. Ferner sind in der Nähe der jeweiligen Arbeitsplätze barrierefreie Sanitärräume vorzusehen. Gemäß ASR A4.1 sollte die Entfernung nicht mehr als 50 m betragen und darf 100 m nicht überschreiten.
Der geforderte Anteil barrierefreier Arbeitsstätten-Bereiche ist abhängig vom zu erreichenden Anforderungsniveau: für QNG-PLUS mindestens 10 % (jedoch für Arbeitsstätten ab 20 Mitarbeitenden) und für QNGPremium mindestens 25 %.
Der Nachweis erfolgt nach dem Prinzip der barrierefreien Wegeketten. In Grundrissen der realisierten Ausführungsplanung ist die unterbrechungsfreie barrierefreie Zugänglichkeit im Sinne der Erschließung darzustellen. Ergänzend ist eine Fotodokumentation der umgesetzten Maßnahme beizufügen. Die Bestätigung zur Ausführung der Anforderungen kann entweder durch ausführende Architektinnen bzw. Architekten oder Sachverständige für Barrierefreies Bauen erfolgen.
Wohngebäude
ready kompakt
Im Fokus des QNG für Wohngebäude steht statt der umfänglichen Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderung der altersgerechte Wohnungsbau. Als Bewertungsgrundlage wird statt der DIN 18040-2 die Publikation „ready kompakt (Planungsgrundlagen zur Vorbereitung von altengerechten Wohnungen)“ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) aus dem Jahr 2016 genommen (Download auf der Seite des BBSR möglich).
Das dort dargestellte ready-Konzept beschränkt sich auf absolut notwendige Maßnahmen, deren Umsetzung im Neubau von Wohnungen mit verhältnismäßigem Aufwand möglich ist.
In drei Qualitätsstufen erfolgt eine Abstufung zwischen vollumfänglicher Barrierefreiheit („all ready Komfortstandard“, rollstuhlgerecht in Anlehnung an DIN 18040-2 R-Standard) über eine Zwischenstufe („ready plus“, barrierefrei in Anlehnung an DIN 18040-2 B-Standard) hin zum Mindeststandard („ready besuchsgeeignet“).
Die technischen Kriterien zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Sinne des ready-Konzepts sind in einem nach fünf Leitkriterien gegliederten Maßnahmenkatalog ausgeführt.
Von den 37 Kriterien sind für eine QNG-Zertifizierung acht relevant, von denen sowohl für QNG-PLUS als auch für QNG-PREMIUM bei neu errichteten Gebäuden mit mehr als fünf Wohneinheiten jeweils sieben umzusetzen sind. Entsprechende Hinweise zur Umsetzung sind im Anhang 3.1.4 zur Anlage 3: Handreichung zur Anforderung 4 „Barrierefreiheit im QNG“, Stand: 19.07.2024, enthalten.
Der Nachweis erfolgt über Ausführungspläne im erforderlichen Umfang, einschließlich Detailzeichnungen sowie einer Fotodokumentation.
Fazit
In Zeiten einer alternden Gesellschaft ist bereits jetzt absehbar, dass der Bedarf nach barrierefreier Gestaltung in zunehmendem Tempo steigen wird.
Um echte Nachhaltigkeit zu erreichen, muss dieser Fakt berücksichtigt und Barrierefreiheit umgesetzt, mindestens jedoch vorbereitet werden. Darauf wird sowohl im QNG- als auch im DGNB-Programm Rücksicht genommen. Unter der Überschrift „Ausblick“ steht im Kriterienkatalog der DGNB Folgendes: „Die Anforderungen an die Barrierefreiheit werden sich voraussichtlich in Zukunft verschärfen.“ Wer bereits jetzt nicht nur die Mindestanforderungen im Blick behält, sondern nach Möglichkeit darüber hinausgeht, ist auf künftige Verschärfungen bestens vorbereitet.
Der Autor
Martin Schienbein ist als „Dein Kollege für Barrierefreiheit“ überall dort unterwegs, wo Barrieren abgebaut oder gar-nicht-erst-aufgebaut werden.

